Lovemarks: Markenloyalität jenseits der Vernunft

Dieser Beitrag ist hier im Original erschienen.

Die klassischen Handelsfunktionen stehen unter Druck. Der Konsum ist mit Corona in die Sinnkrise geraten. Doch die Einstellungs- und Verhaltensveränderung der Menschen ist für Händler auch eine Chance. Wie der Handel den veränderten gesellschaftlichen Strömungen begegnen und daraus Markenkapital schlagen kann, skizziert Etailment-Experte Christian Rätsch, CEO der Kreativagentur Saatchi & Saatchi.

Jede globale Krise gilt als Katalysator für Verhaltensänderung. So bringt auch die Corona-Pandemie im besonderen Maße Verhaltens- und Einstellungsänderungen der Konsumenten hervor. Denn niemals zuvor war eine solche Krise einserseits ein globales Trauma, andererseits eine durch Isolation tiefgreifende persönliche Erfahrung.

Nach der Pandemie werden uns daher drei gesellschaftliche Veränderungen beschäftigen. Zum einen der persönliche Neustart: Die Prioritäten jedes Einzelnen werden neu sortiert. Lebenssinn oder auch -unsinn und der persönliche Plan stehen auf dem Prüfstand.

Rehabilisierung des Digitalen

Weiterhin findet eine Rehabilisierung des Digitalen statt. Digitale Erschöpfung und Überforderung wandeln sich in ein Bedürfnis der digitalen Teilhabe.

In Zeiten von Homeschooling, bargeldlosem Zahlen, digitaler Fitnessprovider wie Peloton oder einfach nur guter Inhalte via Streaming wendet sich die „Digital Fatigue“ oder gar „Digitalphobie“ zu einer neuen Digitallust.

Der dritte Punkt ist eine Neugestaltung der Weltordnung. Klingt groß? Ist es auch. Wir befinden uns in einem fundamentalen Einstellungs- und Verhaltenswandel – vom Ego- zum Eco-System.
Individuen sind zunehmend zu einem persönlichen Verzicht bereit, hinterfragen ihren Konsum und kalibrieren das persönliche Belohnungssystem neu. Der Konsum ist mit Corona in die Sinnkrise geraten.

Das Lovemark-Konzept

Aller gesellschaftlichen Veränderungen zum Trotz gibt es Konzepte, die auch nach der Krise Bestand haben werden, wie das der „Lovemark“. Dieser Begriff steht für ein Marken-Prädikat: Marken, die Menschen jenseits der Vernunft emotional binden, verdienen den Lovemark-Status.

Sie werden verteidigt, sie haben Markenfans und sie überzeugen die Menschen statt sie zu überreden. Sie spielen im Leben der Menschen eine Rolle, sie hinterlassen einen bleibenden Eindruck, weil sie sie stärken und befähigen statt sie zu bevormunden.

Sie schaffen Erlebnisse, die sich nachhaltig bei den Menschen verfestigen und so erinnert werden. Menschen schließen sich daher Lovemarks freiwillig an, weil sie für etwas stehen, das im Leben einen subjektiven Unterschied macht.

Jenseits der Vernunft

Sogar Kritiker des Konzepts konstatieren, dass Marken eine Rolle im Leben der Menschen spielen können, sofern sie individuelle Ziele erfüllen.

Unabhängig von der Begrifflichkeit steht außer Frage: CMOs suchen heute nach Rezepten, ihre Marken so begehrlich zu führen, dass sie für die Menschen wirklich relevant sind und im Idealfall zu einer Loyalität jenseits der Vernunft führen.

Lovemarks-Konzept für den Handel: #leaveamark

Nun stellt sich die Frage, wie eine Handelsmarke zur Lovemark entwickelt werden kann, sodass sie – getreu der Maxime #leaveamark – einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Im Handel spielen die Standortfrage, das Sortiment, die Beratungskompetenz und natürlich die über Jahre aufgebaute Reputation eine wichtige Rolle – den Preis einmal ausgeklammert.

Jedoch verlagern sich mit der Digitalisierung und den geschilderten gesellschaftlichen Herausforderungen die Akzente, um zu einer Handelsmarke heranzuwachsen, die im Leben der Menschen einen unverrückbaren Platz hat.

Aus meiner Sicht hat der Handel daher in folgenden Feldern dringenden Handlungsbedarf:

1. Emotionale Bindungskraft

Es ist unverständlich, warum der Handel die emotionale Bindungskraft derzeit den Produktmarken überlässt und nicht selbst anfängt, Markenkapital aufzubauen. Schließlich steht er vor der Frage, ob der Kunde wegen des angebotenen Produktes zum Händler kommt oder eben wegen des Händlers.

Hier hält sich der Handel – bis auf wenige Ausnahmen wie das Beispiel Ikea „Where Life Happens“ – noch zurück. Und verpasst damit die Chance, Touchpoints zu emotionalisieren, um Bindungen aufzubauen.

Denn eines ist klar: Fakten führen zu Schlussfolgerungen, aber Emotionen führen zu Handlungen.

2. Inspiration

Um im Leben eine relevante Rolle zu spielen, den Weg in die Stadt zu rechtfertigen und zu einer Anlaufstelle zu werden, sollte sich der Handel seiner Inspirationsrolle bewusster werden. Wer Menschen bewegen will, muss sie mit überraschenden, erinnerungswürdigen Ideen berühren. Jeder Händler braucht eine Idee, die Menschen begeistert.

Indem er eigene Impulse setzt, befreit er sich aus der Differenzierungsfalle. Handelsmarken sollten idealerweise ihren Verkaufsraum als Inspirations- und Beziehungsraum verstehen. So eröffnete Douglas kürzlich in Berlin und anderen Städten Erlebnis-Shops

Aber auch dem unaufhaltsamen Trend der digitalen Kundenbeziehung folgend bauen Händler zunehmend Inspirationsbühnen im Netz, um Kunden mit einzigartigen Erlebnissen und Mehrwerten an sich zu binden – wie zum Beispiel der Bau- und Gartenmarktbetreiber Hornbach, der mit Videoberatung das persönliche Projekt Wirklichkeit werden lässt.

In Zukunft wird uns zudem das Thema Social Commerce begleiten. Händler werden zunehmend Social-Media-Inspiration mit Commerce verbinden und damit die Customer Journey auf einen Klick verkürzen. Einen Vorgeschmack auf das Shopping im digitalen Instagram-Live-Video liefert Livebuy

Beispiel für eine werteorientierte Händlermarke: Carrefour

3. Werteorientierung

Marken als Abbild der Gesellschaft stehen in der Pflicht, Wertekompass zu sein und mit gutem Beispiel voranzugehen. In Zeiten, in denen die Notwendigkeit des Wertewandels gesellschaftlicher Konsens ist, sollten auch Handelsmarken ihren Beitrag sichtbar leisten.

Sie können zum Treiber für eine positive gesellschaftliche Entwicklung werden – wenn es ihnen gelingt, einen entsprechenden Fußabdruck bei Themen wie Klima, Gesundheit, Inklusion, Bildung oder Nachhaltigkeit zu hinterlassen.

Besonders gut macht dies Carrefour mit dem „Black Supermarket“. Der Händler stellt sich gegen die Normierung von Obst und Gemüse und damit gegen eine Wegwerfgesellschaft. Gleichzeitig positioniert er sich als Partner der Bauern und erreichte sogar eine Gesetzesänderung auf EU-Ebene.

Fazit

Handelsmarken stehen unter dem bekannten Druck der Digitalisierung. Doch Covid hat auch zu einer nachhaltigen Einstellungs- und Verhaltensänderung der Menschen geführt. Das ist eine Chance für Händler, im Leben der Menschen eine Rolle zu spielen.

Das Konzept der Lovemark steht sinnbildlich für die Kraft von Handelsmarken, Spuren bei den Menschen zu hinterlassen und sie jenseits der Vernunft zu loyalisieren. Dabei wird die emotionale Bindungskraft, die Inspirationsfähigkeit und auch die Werteorientierung eine erhebliche Rolle für die Zukunftsfähigkeit im Handel spielen.

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Marken- und Digitalisierungsexperte.
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