Christian-Raetsch-artikel - KI – vieles ist möglich, nicht alles sollte man tun.

KI – vieles ist möglich, nicht alles sollte man tun.

Künstliche Intelligenz

Vieles ist möglich

Die Möglichkeiten, die die KI eröffnet, sind mannigfaltig. Trotzdem sollten wir auch einmal innehalten und prüfen, ob alles, was möglich ist, auch tatsächlich wünschenswert ist, meint Christian Rätsch, seit April 2023 CEO von TeamBBDO. Der Wertekompass von jedem Werbetreibenden ist hier gefordert, erläutert er in seinem Gastbeitrag in in markenartikel 11/24:
Derzeit gibt es wohl keine Konferenz ohne das Top-Thema Künstliche Intelligenz (KI). So auch beim OWM Summit 2024, der sich mit der Frage nach KI im Spannungsfeld von Innovation und Ethik beschäftigt hat. Wie aktuell und brisant diese Frage im Allgemeinen und im Marketing im Speziellen ist und warum wir uns ihr dringend intensiver stellen müssen, darf ich hier skizzieren.
Zunächst ein persönlicher Rückblick: 2017 besuchte ich die Singularity University in den USA, die schon damals die Vision ausgab: „A world of abundance created by futurmakers (movivated by the belief that technology can forge a brighter future) working together to solve the world‘s greatest challenges.“ In der Vorlesung von Jonathan Knowles, Mitbegründer der Universität, wurden weitsichtig vier Zukunftsfragen thematisiert, deren Tragweite heute zunehmend an Relevanz gewinnen: Is there a need? Can it be done? Is it legal? Should it be done? 2017 schien die Wirkmächtigkeit dieser Fragen noch in weiter Ferne, weil KI eher ein Feld der Experten, denn eins der Allgemeinheit war. 2024 betrachte ich das mit anderen Augen.

Chancen und Risiken der KI

Einige Praxisbeispiele: In der damaligen Vorlesung war man stolz, dass man eine Technologie entwickelt hatte, die, auf öffentlichen Toiletten eingesetzt, den Krankheitsstatus von San Francisco in Realzeit erfassen konnte. Solche Methoden kamen auch auf dem Oktoberfest 2024 in München zum Einsatz, um den Corona-Status der Wiesn-Besucher zu ermitteln. Was aber macht eine solche Technologie in den falschen Händen? Man stelle sich vor, dass Versicherungen Prämien auf den persönlichen Gesundheitszustand geben. Oder Grohe eine Toilette auf den Markt bringt, die per App mitteilt, wie gesund Du bist – und dein Lebenspartner, deine Kinder, deine Hausgäste … Wo liegen die Grenzen solcher Anwendungen? Beim Arbeitgeber? Bei der Partnersuche, die zukünftig den Gesundheitsstatus als Bindungskriterium mitberücksichtigen kann? Wieviel Transparenz ist gesund?
Ohne Zweifel ist KI ein unglaubliches Instrument, die Unmögliches möglich macht beziehungsweise machen wird. Zum Beispiel in der Ernte, in der die Wachstumsbedingungen optimiert werden. Oder in der Stadtplanung, die Aufschluss darüber erlangt, wie man mit den Extremwetterlagen zum Schutz der Menschen besser umgehen kann. Oder in der Medizin – KI wird allein in der Krebsforschung Berge versetzen.
Apropos Medizin: Im Webshop von Nanopore kann ich MinION kaufen, ein tragbares Minigerät, das mir in Realzeit meine DNA und RNA-Sequenzen liefert. Mit diesen Informationen kann ich dann beispielsweise bei der Restaurantkette Elly Earls passend zum DNA-Profil adäquates Essen bestellen. Ich bin sicher, dass der Markt für hyperpersonalisierte Produkte und Services unendlich groß und attraktiv ist. Aber sollte es einen DNA-basierten Markt überhaupt geben? Zu abwegig? Dann möchte ich den Vorhang noch etwas weiter aufziehen, bevor ich zur generativen KI im Kontext von Marketing komme.

KI wird zum Akteur

Unsere Demokratie lebt vom Austausch. Die Demokratie ist also ein großes Gespräch der Perspektivwechsel, ein Ringen um Meinungen und gemeinsame Normen. So ist es auch mit der Kultur. Über Religion, Kunst, Sprache etc. haben wir vergleichbare Normen und auch zu gemeinsamen wirtschaftlichen Grundideen gefunden. Die bisherigen Kommunikationstechnologien wie Zeitungen, TV etc. waren Fundament der Demokratie – wie auch der freie und höchst schützenswerte unabhängige Journalismus.
Doch wie sieht eine Welt aus, wenn die KI nicht mehr Werkzeug, sondern Akteur wird? Wenn sie selbst Texte schreibt, Bilder generiert oder Geschichten erfindet. So abwegig ist das nicht: ChatGPT wurde gebeten, eine Webseite mit einem Captcha-Rätsel (virtuelles Rätsel – um Robotern Zugänge auf Webseiten zu verwehren) zu öffnen. Das Sprachmodel scheiterte zuerst, fragte aber dann selbstinszeniert TaskRabbit (Onlineplattform für Minijobs) um Hilfe. Als der angefragte Proband die KI fragte, ob sie ein Roboter sei, antwortete sie: Nein, ich bin ein Mensch mit einer Sehbehinderung. ChatGPT öffnete die Seite.
Eine KI ist heute schon in der Lage, kreative Ideen zu generieren und eigene Entscheidungen zu fällen. Wird also in Zukunft Kultur nicht mehr vom Menschen, sondern von der KI geprägt? Möglich. Sicher ist zumindest heute schon, dass die KI eine der essenziellsten Infrastrukturen unseres Lebens werden wird und sich die Rollen in der Welt an dieser Frage mitentscheiden werden. China und die USA schwingen sich zu KI-Supermächten auf und »Europa ist in der Gefahr, eine Datenkolonie der Mächtigen zu werden« – schreibt der Bestseller-Autor Yuval Noah Harari im Handelsblatt. Soweit eine gesellschaftliche Perspektive.

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Marken- und Digitalisierungsexperte.
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