Agenturen müssen sich weiterentwickeln – keine Frage. Denn Unternehmen verlangen zunehmend ein breiter aufgestelltes Leistungsportfolio, um ihre Anforderungen zu bedienen. Und das für jede Branche spezialisiert und kundenorientiert. Dies gilt besonders für junge Start-ups, die neben innovativen Produkten und Ideen ganz besondere Herausforderungen in den Bereichen Finanzierung und Kommunikation zu bewältigen haben. Wie diese durch Zusammenarbeit mit Agenturen bewältigt werden können, erklären Christian Rätsch, CEO Saatchi & Saatchi Deutschland und Erik Heinelt, Mitgründer von tirendo.de und Vorstand des Bundesverbands Deutsche Startups e.V.
Herr Rätsch, Herr Heinelt, Sie sagen, dass Agenturen und Start-ups von einander lernen und sich gegenseitig ‚befruchten’ können. Dafür bedarf es aber immer Gemeinsamkeiten, auf denen man aufbauen kann. Welche sind das aus Ihrer Sicht?
Christian Rätsch: Aus meiner Sicht liegen die Gemeinsamkeiten klar auf der Hand: Beide, sowohl Start-ups als auch Kreativagenturen, verstehen sich als Innovatoren – beide Businessgattungen leben also von ihren Ideen, Services und Kreativität. Zudem produzieren beide ‚Relevanz’ im Markt. Für die Agenturen heißt das, dass sie mit ihrer Arbeit, ihren Ideen, Menschen begeistern und zum Handeln bewegen – also sich mit Marken beschäftigen und letztlich Produkte kaufen. Die Aufgabe der Start-ups hingegen ist, mit Produkten Relevanz für den Markt zu erzeugen. Beide müssen also überzeugen – die Agenturen generieren Kaufentscheidungen, die Start-ups müssen die Notwendigkeit ihrer Innovationen im Markt kommunizieren und so Relevanz herstellen.
Zusammenfassend: Beide ‚Industriezweige’ und vor allem die Menschen, die in ihnen arbeiten, teilen die gleiche ‚DNA’. Diese besteht im Wesentlichen im kreativen Mut und dem Willen, sich im Markt durchzusetzen und die Bereitschaft aufzubringen, die letzte Meile zu gehen, um zu erleben, wie die eigene Innovation und Idee Erfolg hat. Zudem geht es sowohl dem Start-up-Manager als auch dem Werber darum, neue Pfade zu beschreiten, herkömmliche Strukturen aufzubrechen und etwas ‚zum ersten Mal’ zu machen – Neugierde, Offenheit und Empathie sind hier die treibenden Charakterzüge. Und zuletzt eint beide, dass sie etwas hinterlassen wollen: Der Werber will am liebsten ein Stück kreativer Kommunikation erschaffen, die sich noch Jahre später im Gedächtnis hält. Der Start-up-Manager definiert sich über seine Idee, die im Markt eingeschlagen ist.
Erik Heinelt: Zusätzlich gilt besonders für Start-ups, dass sie Kunden und Partner von etwas Neuem und Unbekanntem überzeugen wollen – und davon, mit ihnen zusammen neue Pfade zu beschreiten. Start-ups bieten ein Versprechen für die Zukunft und sind dabei unbelastet von einer Historie und der Marktakzeptanz. Sie können also ganz anders agieren als etablierte Unternehmen. Gerade deshalb brauchen sie eine passgenaue Kommunikation gegenüber Kunden, Partnern und Investoren. Alle erfolgreichen Start-ups eint eines: Sie verkaufen eine ‚unbekannte Story’, mit der sie überzeugen und Glaubwürdigkeit schaffen wollen.
Das verkennen viele Gründer, da sie besonders zu Anfang meist sehr auf ihr Produkt fokussiert sind. Sie neigen dazu, sich in Details zu verzetteln und erkennen nicht, welchen Wert die Kommunikation für ihre Idee haben kann. Gerade in diesem Punkt können Agenturen Start-ups dabei unterstützen, eine klare und prägnante Markenstrategie zu entwickeln und so das zu erreichen, was sie eigentlich wollen: ihre Idee bei den Kunden bekannt machen und zum Fliegen bringen.
Das persönliche Grundverständnis und die notwendigen Charaktereigenschaften bilden also das verbindende Element. Welche Skills und Fähigkeiten werden denn für den Erfolg benötigt?
Christian Rätsch: Auch hier bestehen große Ähnlichkeiten. Agenturen und Start-ups müssen immer State-of-the-Art sein: Soll heißen, dass sie die aktuellen Technologien, die Infrastruktur und alle Kommunikationskanäle beherrschen müssen. Vor allem müssen sie aber verstehen, wie der Konsument tickt, was er wirklich will – und wo und wie er sich darüber informiert. Beide müssen so fundiert in ihren Prozessen und Strukturen sein, dass sie Vertrauen schaffen – gleich ob beim Konsumenten oder bei Investoren. Es geht darum, dass Menschen ihnen Geld anvertrauen. Bei den Start-ups sind das die Finanzierungsrunden, bei den Werbern die Kreationsetats der Unternehmen – ohne Vertrauen fehlt beiden der finanzielle Unterbau. Das schaffen sie nur, wenn sie einen ökonomischen und/oder gesellschaftlichen Wertbeitrag generieren. Inhaltlich sind also beide in hohem Maße kongruent.
Es eint also beide tatsächlich mehr als sie trennt. Wie kann nun eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Start-ups und Agenturen gestaltet werden?
Christian Rätsch: Hier sehe ich drei wesentliche Felder für eine gemeinsame Zusammenarbeit: Idee-Generierung, Produktion und Vermarktung.
Bei der Ideen-Generierung geht es vor allem darum, die Basis für den späteren Erfolg – als Unternehmen und auch als Agentur – zu legen. Welche Produkte oder Services braucht der Markt? Wie kann ich das Leben der Menschen verbessern oder vereinfachen?
Bei der Produktion ist es ähnlich. Werber und Start-ups beschäftigen sich heute schwerpunktmäßig mit digitalen Plattformen – in der eigentlichen Produktion, beim Projektmanagement, der Kommunikation und im Vertrieb. Hier können große symbiotische Effekte entstehen, die die Zusammenarbeit grundsätzlich erleichtern.
Das Gleiche gilt für den Bereich Vermarktung. Jedes Start-up kommt an den Punkt, an dem es um die Markteinführung des Produkts, der Erfindung geht. Hier kann die Kommunikationsbranche Impulse geben – das ist schließlich ihr Kerngeschäft.
Die Zusammenarbeit ist also eigentlich schon in den Arbeits- und Denkweisen sowie in den Prozessen angelegt.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Zusammenarbeit zwischen Agenturen und Start-ups?
Christian Rätsch: Natürlich gibt es auch Herausforderungen, die bei der Zusammenarbeit berücksichtigt werden müssen. Hierbei handelt ist sich vorwiegend um die Risikoverteilung, also der Hebel auf Erfolg, Einkommen und – vor allem – auf den Ruhm. Auf Start-up-Seite liegt das gesamte finanzielle Risiko beim Gründer bzw. dem Unternehmen – es ist für ihn eine ‚Alles-oder-Nichts-Wette’. Die Agenturen hingegen lassen die Risiken bezüglich der Finanzierung beim Werbungstreibenden. Hier liegt also der größte Unterschied zwischen den beiden Partnern, der aber über alles entscheidet: Ein Start-up wird es sich drei Mal überlegen, wie und wo es investiert – daher ist es Aufgabe der Agenturen, entsprechende Lösungen zu finden.
Wie müssen sich Agenturen denn verhalten, um hier unterstützen zu können?
Christian Rätsch: Agenturen müssen hier deutlich mehr bereit sein, ins Risiko zu gehen, wenn sie erfolgreiche Start-up-Kommunikation betreiben wollen. Sie müssen lernen – ähnlich wie Start-ups – unternehmerische Risiken zu tragen.
Wenn Agenturen bereit sind, so zu agieren, werden sie zu mehr als reinen Kommunikationsdienstleister. Sie besetzen dann die Lücke, die sie von ‚Unternehmen’ unterscheidet und können als breit aufgestellter Partner auftreten – oder selbst zum Produzenten werden.
Erik Heinelt: Aus Sicht der Start-ups ist es besonders wichtig, dass Agenturen in der Zusammenarbeit folgende Punkte berücksichtigen:
1. Prozesse und Strukturen anpassen: Die Zusammenarbeit sollte in kleinen und agilen Teams erfolgen, die auf Agentur-Seite aus Generalisten mit Start-up Erfahrungen bestehen. Besonders zu Beginn der Zusammenarbeit sollten diese Spezialisten pragmatisch agieren, um in kurzer Zeit das bestmögliche Kommunikationsergebnis zu erzielen. Wichtig: Am Anfang ist keine Perfektion erforderlich, oft ist sie sogar hinderlich.
2. Dedizierte Angebote/Services schaffen: Bei Start-ups sind strategische Richtungswechsel an der Tagesordnung, daher lassen sich keine zuverlässigen Wachstumsprognosen aufstellen. Erfolgreiche Start-ups durchlaufen unterschiedliche Unternehmens- und Entwicklungsphasen in sehr kurzer Zeit – die Bedürfnisse ändern sich also quasi im Monatstakt. Hier gilt es für Agenturen flexible Services zu schaffen, die dynamisch mitwachsen können.
3. Vergütung nachlagern: Start-ups sind nicht in der Lage die üblichen Tagessätze von Agenturen vorab zu zahlen. Dafür haben Agenturen hier die Chance direkt am Erfolg der Start-ups zu partizipieren, indem sie gemeinsam ins Risiko gehen und der Großteil der Vergütung über eine Unternehmensbeteiligung erfolgt.
Arbeiten und denken Sie denn schon so bei Saatchi & Saatchi?
Christian Rätsch: Ja, wir handeln schon nach diesen Grundsätzen. Mir ist besonders wichtig, dass wir uns als Agentur stärker in diese Richtung entwickeln. Dazu haben wir vor kurzem alle europäischen Saatchi & Saatchi CEOs zu uns nach Deutschland eingeladen, um mit ihnen und erfolgreichen Start-ups gemeinsam darüber zu diskutieren, mit welchen Strategien wir im Netzwerk diesen kleinen Unterschied zwischen Start-up und Agentur nivellieren können. Dies wollen alle nun gemeinsam umsetzen.
