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Gebt `HR´ das „Human“ zurück – ein Plädoyer für Mitarbeiterführung ohne Star-Allüren

Heute ist die Diskussion über Arbeitsverhältnisse und die Altersverteilung am Arbeitsmarkt aktuell wie nie zuvor – auch durch die auf den Arbeitsmarkt drängende Generation Y. Qualifizierte Berufseinsteiger sind gesucht, der Markt um Talente ist umkämpft. Wir leben in der Sharing-Economy. Menschen wollen Teil einer Bewegung sein. Wir sind konfrontiert mit einem Arbeitsmarkt, in dem 2025 die meisten Arbeitnehmer aus der „Generation unabhängig“ kommen: Verdrängung („Up or Out“), Star-Allüren und Managementgehabe finden nur noch wenig Bewunderung. Beruflicher Status wird zunehmend durch Eigenverantwortung, die Rolle im Team und Sinnstiftung der ausgeübten Tätigkeit definiert. Das alte Gut der Gehaltsmaximierung spielt gegenüber Faktoren wie Eigenverantwortung, Selbstverwirklichung und Work-Life Balance eine weniger dominierende Rolle. Um als Unternehmen langfristig erfolgreich zu sein, brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Unternehmensführung und insbesondere im Personalmanagement (HR).

Vom War Against Talents

Kevin Roberts prägte den Gedanken: „Unternehmen haben keine Ideen – es sind die Menschen“. Daher ist das zentrale Kapital jedes Betriebs der Mensch. In einer persönlichen Bestandsaufnahme fällt auf, dass die Verantwortung für dieses wichtigste Kapital jedoch nur unzureichend und sehr rückschrittlich adressiert ist. Selbst habe ich das Glück, ein Unternehmen lenken zu dürfen. Doch im Alltag tun sich immer wieder Hürden auf, eine zeitgemäße Unternehmensführung im Sinne der geschilderten Erkenntnisse zu leben. Dabei stellen Routine und lange einstudierte Führungsmuster die wesentlichen Hemmnisse dar. Konkret habe ich zwei Barrieren ausgemacht:

  1. Falsches Verständnis von Karriere: Im Personalmanagement wird immer noch zu stark auf wenige, vermeintliche „Stars“ gesetzt, statt auf die Qualität der Gemeinschaft zu achten.
  2. Falsches Verständnis von Personalverantwortung: Menschen zu führen ist für viele ein großes Ziel. Aber das Privileg der Führung wird falsch interpretiert. Noch allzu häufig dominiert das Bewusstsein über die Weisungsbefugnis. Und nicht etwa die Pflicht zur Befähigung von Menschen und zu echter Mentorenschaft.

Zu 1. Falsches Verständnis von Karriere

„Karriere“ ist ein zentrales Mantra in der Personalführung. Einer Pyramide gleich verknappen sich die Positionen an der Spitze. Dadurch entsteht Verdrängung und der Fehlglaube, dass „Stars“ das Unternehmen führen, nur weil sie es an die Spitze geschafft haben. Vermeintliche „Stars“ zeigen aber Schwäche bei einem zunehmend zentralen Erfolgstreiber: der Fähigkeit, Menschen zu integrieren. Zudem isolieren und verdrängen sie nach meiner Beobachtung häufig Talente, statt sie zu binden. Die US Management Expertin Margaret Heffernan beschreibt in ihrem TED-Talk das „Chicken Experiment“ von William Muir. Der Aufbau ist einfach: Die Hühner, die die meisten Eier legen, kommen in eine Gruppe. Die durchschnittlich produktiven Hühner in eine andere Gruppe. In den Vergleichsgruppen kommt es zu zwei Erkenntnissen: A) Die durchschnittlichen Hühner legen als Gruppe mehr Eier als die Super-Hühner. B) Die Super-Hühner haben sich gegenseitig umgebracht. Intelligenz macht einsam, wenn sie nicht mit einer zentralen Kompetenz gepaart wird – einem hohen emotionalen Quotienten (EQ). Auch unsere HR-Systeme sind häufig auf die falschen Performance-Kennziffern geeicht. Wir suchen „Leader“, aber schauen nach wie vor auf Noten, Karrierestufen, Titel, Ausbildung und auch auf das erreichte Gehalt. Im Resultat bekommen wir Manager, denen das Zeug zum Leader fehlt. [selectivetweet]Stars verdrängen Stars und halten Talente klein.[/selectivetweet] Wir besetzen Linienfunktionen und Kästchen und bewerten Menschen nach ihren augenscheinlichen Fähigkeiten. In Funktionsbeschreibungen wird überprüft, ob Menschen in der vordefinierten Rolle „funktionieren“. Wir suchen Muster und lassen uns von Scheinsignalen blenden: „Oh, Sie sind Senior Vice President – da haben Sie es aber weit gebracht.“ Nach solchen Mustern erfolgt auch die Entlohnung – meist in Gehaltsbändern je Hierarchiestufe.

Karriere durch Befähigung und Integration statt Verdrängung

Unternehmen werden leistungsfähiger, wenn es zu einer sozialen Verbindung zwischen den Mitarbeitern kommt. Wie bei einem Haus braucht es nicht nur Steine, sondern auch Mörtel dazwischen. Wenn wir auf die vermeintlichen Stars schauen, lassen wir uns blenden und übersehen das Wichtigste:

Zu 2. Falsches Verständnis von Personalverantwortung

Zu gerne übernehmen Mitarbeiter Führungsverantwortung, weil diese sie bemächtigt und ihnen Gestaltungsspielräume sowie Anerkennung verschafft. Um diese Motivation zu schüren und die Egos zu befeuern, haben Unternehmen über Jahrzehnte eine Flut von Titeln erdacht. Doch aus meiner Sicht ist eine Führungsaufgabe primär Pflicht und nicht Recht. Sie ist eine Bringschuld gegenüber dem Geführten und kein Freifahrtschein zur eigenen Entfaltung. Und genau hier setzt meine Kritik an, dass das Führungspersonal zu oft Weisungen ausgibt, statt Menschen zu befähigen. Heute sind Mentoren gesucht, die als Coach ohne Umwege offen und konstruktiv ihre Teams entwickeln. Respekt ist dann ein Resultat aus Vorbild und Anleitung – und nicht aus Ehrfurcht vor dem Titel und der vorgesetzten Position. [selectivetweet]Leader besitzen die Fähigkeit, Menschen zu integrieren.[/selectivetweet] Das Führungsdefizit setzt meiner Meinung nach häufig bereits bei der Einstellung an. Zwei Beobachtungen: A) Meistens wird aus der Not heraus eingestellt, weil entweder eine Lücke durch Weggang entstanden ist oder Budget für eine Stelle vorhanden war/ist, die dringend zu besetzen ist. B) Die zu besetzenden Stellen sind zwar exakt beschrieben. In der Realität findet sich der perfekte Kandidat häufig aber nicht (gleich), so dass die meisten Neubesetzungen ein Kompromiss bleiben. Aus Zeitdruck heraus werden Fehlentscheidungen bei der Besetzung gefällt, statt die freie Position zu ehren und ohne Kompromisse zu vergeben. Die Besetzung von Führungspersonal erfolgt häufig noch opportunistisch und zu wenig nachhaltig. Das wertvollste Kapital eines Unternehmens verkommt zu einem kurzfristig zu lösenden Problem – statt zu einer langfristigen, strategischen Chance.

Personalverantwortung meint Anleitung und Inspiration, nicht Bevormundung

Zudem wird das Privileg der Personalverantwortung fehlinterpretiert. Führen heißt Befähigung statt Bevormundung. Also nicht mehr Verdrängung, sondern die Fähigkeit zu integrieren. Die Sichtweise muss sich grundlegend ändern, dass nur die Stars den Unterschied machen. In Wirklichkeit ist es die Gemeinschaft und ihre persönliche Verbindung untereinander, die Output steigert und eine enorme innere Robustheit bewirkt. Zum Wohle des Unternehmens. Führung definiert sich in diesem Kontext durch die besondere Fähigkeit, Rahmenbedingungen zu schaffen, die kollaboratives sowie selbstbestimmtes Arbeiten begünstigen. Transparenz, die Fähigkeit zu teilen, dem Talent Verantwortung zu übertragen und die Freude am gemeinsamen Erfolg sollte heute Personalverantwortung prägen. In Zeiten von Social Media und digitalen Infrastrukturen sind diese Postulate eigentlich leicht zu erfüllen. Facebook und Co. haben uns doch unweigerlich geschult und die Wirkmechanismen von „Sharing“ gelehrt. [selectivetweet]Wer in Zukunft Menschen befähigt, statt sie zu bevormunden, erntet Anerkennung und Loyalität.[/selectivetweet] Echte Leader unterstützen Mitarbeiter, investieren in ihre Fähigkeiten und geben ihnen eine Stimme. Schlussendlich sind es genau diese Bedingungen, die Talente binden. Sie spüren Verantwortung und Entwicklung. Bei meinem Besuch bei Google USA erzählte mir die HR-Direktorin, dass ihr Unternehmen sie einstellte, obwohl sie im sechsten Monat schwanger war. Die Begründung: „We hire for the long term“. Statt Positionen zu bestücken, sollten wir Talente identifizieren und an das Unternehmen binden. Nicht der Moment der offenen Stelle entscheidet daher über die Einstellung, sondern die Verfügbarkeit des Talents, das am besten zur Firma passt. Auf den Punkt gebracht: [selectivetweet]Nicht die Stelle definiert das Talent, sondern das Talent definiert die Stelle.[/selectivetweet]

Holt das „Human“ in die Human Relation (HR) zurück

Mein Appell: Ich fordere, dass wir weniger in Mustern und Positionen denken und handeln, sondern mehr über soziale Kompetenzen nachdenken. Am Ende geht es immer um eines: Wer Menschen bewegen will, muss Menschen berühren. Lasst uns daher das „Human“ in HR zurückholen. PS: In eigener Sache. An alle meine Kollegen, die mich beruflich kennen: Ich arbeite hart an mir und an den Rahmenbedingungen, die unsere Zusammenarbeit bestimmen. Natürlich liege ich manchmal falsch oder unterliege Zwängen, aus denen ich mich nicht konsequent genug befreie. Aber mit diesem Beitrag ist die Diskussion eröffnet, wie wir gemeinsam eine Kultur schaffen, an der sich jeder von Euch gerne und nachhaltig freiwillig anschließt und die jeder mitprägt. Dieser Beitrag ist am 23. November erstmals auf meinem LinkedIn Influencer Blog erschienen.

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